Nürnberger Papp- oder Holz-Mikroskope

 

 

Gegen Ende des 18. Jh. und zu Beginn des 19. Jh. wurden die bekannten Nürnberger Holz- oder Papp-Mikroskope hergestellt. Diese Instrumente stellen eine Besonderheit in der Geschichte des Mikroskops dar. Die oft auch als Spielzeug-Mikroskope bezeichneten Geräte ließen sich kostengünstig in großer Stückzahl produzieren und wurden erfolgreich in das In- und Ausland verkauft. Als Mikroskop waren sie aber umständlich zu handhaben und wegen ihrer mangelhaften optischen Eigenschaften kaum für ernsthafte mikroskopische Untersuchungen geeignet.

 

Nürnberg besaß eine Jahrhunderte lange feinmechanische Tradition. Schon im 16. Jh. als Stadt der "Kompaßmacher" bekannt, die tragbare Sonnenuhren herstellten, war Nürnberg im 18. Jh. und später ein Zentrum der Spielzeug- und Brillenherstellung in Deutschland. Da boten sich Mikroskope als zusätzliches Produkt an. Natürlich konnten diese einfach gebauten und preisgünstig angebotenen Mikroskope weder in der Mechanik, noch in der Optik einem ernst-haften Vergleich mit den Messinggeräten der Zeit standhalten.

 

 

Es lassen sich heute 3 Typen von Nürnberger Mikroskopen nachweisen:

 

  1. ein an die frühen Trommel-Mikroskope von Benjamin Martin angelehntes kleines Modell mit einem Holzkasten   als Stativunterteil und einem einsteckbaren Tubus. Dieses Gerät wird manchmal auch als Kasten-Mikroskop bezeichnet, Höhe ca. 26 cm.
  2. ein an den Culpepper-Typ angelehntes Modell mit rundem Holzfuß und 3 gedrechselten Beinen, Höhe ca. 34 cm.
  3. ein an den Cuff-Typ angelehntes Modell, bei dem das Stativ aus einer auf einem Kasten als Fuß stehenden Holzstange besteht, Höhe ca. 44 cm.

 

 

Bei allen 3 Modellen ist die Machart die gleiche. Die Geräte bestehen aus Weichholz, während die Auszugtuben aus Pappe bestehen, die mit bunt verziertem Papier beklebt ist. Neben den Objektträgern aus Holz gab es meist kein weiteres Zubehör. Ein Kasten für die Mikroskope kommt nur äußerst selten vor.

 

Schwer ist die Frage zu beantworten, in welcher Zeit die Nürnberger Mikroskope entstanden sind. Unterlagen aus entsprechenden Betrieben oder andere eindeutige Quellen sind nicht bekannt und scheinen auch nirgendwo zu existieren. So können nur Vermutungen aufgrund von eigenen Recherchen weiterhelfen.

 

Rund einhundert Jahre lang, von etwa 1730 bis 1830, waren diese schlichten Mikroskope bei vielen Amateuren sehr beliebt" (vgl. 3, S. 108). Die exakt gleichen Daten tauchen auch in einer anderen Quelle auf (vgl. 6, S. 95). Turner nimmt jedoch an, daß diese einfach gebauten Mikroskope hauptsächlich in der ersten Hälfte des 19. Jh. entstanden sein können (vgl. 10, S. 46).

 

Dagegen gibt Petri in seinem 1896 erschienen Buch "Das Mikroskop" an, daß es immer noch die Nürnberger Mikroskope (Typ Trommel-Mikroskop) bei Optikern in Nürnberg preisgünstig zu kaufen gibt (vgl. 9, S. 151, Fußnote). Diese Angabe ist nicht nur erstaunlich, sondern auch zweifelhaft, denn gegen Ende des 19. Jh. gab es genügend preisgünstige Mikroskope, die dem Nürnberger Modell in Mechanik und Optik weit überlegen waren.

 

Nach van Heurck wurden in seiner Kindheit bei einem Optiker in Antwerpen noch Mikroskope aus Holz und Pappe verkauft (vgl. 5, S. 297). Das dürfte etwa um 1840 gewesen sein. Weiterhin berichtet van Heurck von einem Nürnberger Mikroskop des Cuff-Typs, welches nachweislich einem Arzt aus Antwerpen gehörte, der 1764 gestorben ist (vgl. 5, S. 297).

 

Zusammenfassend läßt sich annehmen, daß die Nürnberger Papp-Mikroskope zwischen 1750 und 1830 entstanden sind. der Schwerpunkt der Produktion mag dabei um 1800 gelegen haben.

 

Auf den bisher bekannten Nürnberger Mikroskopen finden sich nicht die üblichen Herstellergravuren, sondern Brandmarken, d. h. in das Holz - meistens auf der Fußunterseite - eingebrannte Buchstabenkombinationen. Es sind bis heute nur wenige Brandmarken bekannt, wobei eine Zuordnung auf bestimmte Hersteller nicht möglich ist. Ob es sich dabei überhaupt um den jeweiligen Hersteller handelt, läßt sich nicht zweifelsfrei klären. Turner kommt nach eigenen Untersuchungen zu dem Schluß, daß die Mikroskope Brandmarken von den Händlern tragen, die diese Mikroskope vertrieben haben (vgl. 10, S. 46).

 

Eines der absolut seltenen Geräte, das einen Herstellernamen trägt, ist "W. Burucker" signiert. Bei diesem Mikroskop vom Typ kleine Trommel besteht die "Signatur" auch aus einer Brandmarke. Bei den 3 festgestellten und ausgewerteten Typen der Nürnberger Mikroskope lassen sich die folgenden Brandmarken feststellen:

 

 

  • C. H. L. - Typ Culpepper (vgl. 11, S. 204)

 

  • F. C. R. - Typ Culpepper (vgl. 7, S. 35)

 

  • I. C. R. - Typ Cuff (vgl. 4, S. 51)
      •              Typ kleine Trommel (Handel)
    •              Typ Culpeper (Handel)
  • I. M. -    Typ kleine Trommel (vgl. 10, S. 46)
    •              Typ Culpepper (vgl. 10, S. 46 und 11, S. 204f)
  • J. F. F. -  Typ kleine Trommel (vgl. 7, S. 35)
    •              Typ Culpepper (vgl. 8, S. 74)
    •              Typ Cuff (vgl. 1, S. 8, 2, Nr. 181 und 5, S. 297)
  • R. C. -    Typ Culpepper (vgl. 1, S. 180).

 

Da die Brandmarken zum Teil stark abgegriffen und damit oft unleserlich geworden sind, besteht der begründete Verdacht, daß es sich bei der obigen Angabe "R. C." um die Marke "F. C. R." oder "I. C. R." handelt, wobei die Buchstaben nur vertauscht worden sind. Damit würde man auf insgesamt fünf verschiedene bekannte Brandmarken kommen.
 

Es existieren jedoch auch viele Geräte, die keine Brandmarke tragen. Bei diesen Mikroskopen sieht es nicht so aus, als ob eine ursprünglich angebrachte Brandmarke unleserlich geworden ist oder im Laufe der Zeit so gelitten hat, daß sie nicht mehr zu erkennen ist. Es ist vielmehr anzunehmen, daß diese Gerät schon ohne eine Brandmarke in den Handel gekommen sind.

 

Eine Besonderheit bleibt noch zu erwähnen: die Brandmarken I. M., R. C. und I. C. R. umgibt ein Kreis, während die Brandmarken J. F. F. und C. H. L. (manchmal vertauscht als C. L. H. angegeben) in einem Herz liegen.

 


 

Verwendete Quellen:

 

  1. Billings Microscope Collection of the Medical Museum Armed Forces Institute of Pathology, 2. Aufl., Washington D. C. 1974.
  2. Brown, Olivia: The Whipple Museum of the History of Science, Catalogue 7, Microscopes, Cambridge 1986.
  3. Gloede, Wolfgang: Vom Lesestein zum Elektronenmikroskop, Berlin 1986.
  4. Hemmerling, K. & Feustel, H.: Historische Mikroskope des Physikalischen Kabinetts im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, Darmstadt 1983.
  5. Heurck, Henri van: Le Microscope, 4. Aufl., Brüssel 1891.
  6. Martin de, H. & W.: Vier Jahrhunderte Mikroskop, Wien 1983.
  7. Nachet, Albert: Collection Nachet. Instruments Scientifiques et Livres Anciens. Reprint, Paris 1976.
  8. Nowak, Hans Peter: Geschichte des Mikroskops, Rothenthurm 1984.
  9. Petri, R. J.: Das Mikroskop, Von seinen Anfängen bis zur jetzigen Vervollkommnung, Berlin 1896.
  10. Turner, G. L. E.: Mikroskope. Christie's Collectors Series, München 1981.
  11. Turner, G. L. E.: The Great Age of the Microscope, Bristol/New York 1989.

 

 

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